Rehan Neziri
Einer der gravierendsten Faktoren, der die Familie bedroht, ist die häusliche Gewalt. Während gesellschaftliche Gewalt in der Regel sichtbar ist und von vielen wahrgenommen wird, bleibt die Gewalt innerhalb der Familie zumeist verborgen, unsichtbar – und somit auch ungestraft. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die weitverbreitete Mentalität berücksichtigt, die häusliche Gewalt in gewissem Masse rechtfertigt – etwa durch gängige Aussagen wie: „Das gehört zum Privatleben“, „So etwas kommt eben zwischen Ehemann und Ehefrau vor“ oder „Er ist der Vater – er liebt dich und schlägt dich zugleich“.
Überall dort, wo Probleme nicht durch Kommunikation und Dialog gelöst werden können, wird Gewalt angewandt und ausgeübt. Gewalt stellt jedoch kein legitimes Mittel zur Problemlösung dar, sondern ist vielmehr ein Ausdruck von Druckausübung und Unterdrückung – ausgeübt vom Stärkeren gegenüber dem Schwächeren, vom Mächtigen gegenüber dem Machtlosen. Mit anderen Worten: Gewalt ist der ungerechte Einsatz von Macht – sie ist Unrecht (arab. dhulm).
Alle Formen von Gewalt sind zerstörerisch. Doch am verheerendsten ist jene Gewalt, die von Familienmitgliedern gegen andere Mitglieder derselben Familie ausgeübt wird. Denn diese stellt nicht nur eine Bedrohung für einzelne Individuen dar, sondern für die gesamte Gesellschaft – allein aus dem Grund, dass die Familie ihre kleinste und grundlegendste Einheit bildet. Häusliche Gewalt erschüttert das Fundament des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wenn an einem Ort, an dem eigentlich Verständnis, Toleranz, Liebe und gegenseitiger Respekt gefördert werden sollten, stattdessen Missverständnis, Intoleranz, Hass und Respektlosigkeit vorherrschen; wenn der Mensch sich dort, wo er sich am sichersten und geborgensten fühlen sollte, unsicher und bedroht fühlt – dann bedeutet dies nichts anderes als eine erschütternde Destabilisierung des gesellschaftlichen Fundaments. Familienmitglieder, die innerhalb der Familie Gewalt erfahren, verlieren nicht nur das Vertrauen und die Hoffnung in ihre engsten Bezugspersonen, sondern oft auch die emotionale Sicherheit, die für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung unerlässlich ist. Wer durch familiäre Gewalt in seiner Persönlichkeit beschädigt wird, dem fällt es schwer, auch ausserhalb der Familie anderen Menschen oder gar den tragenden Institutionen der Gesellschaft Vertrauen entgegenzubringen.
Gewalt hinterlässt sowohl körperliche als auch seelisch-psychische Wunden, die nur schwer heilbar sind. Besonders stark betroffen von häuslicher Gewalt sind Kinder. Für sie besteht die grosse Gefahr, dass sie die seelische Ruhe und Geborgenheit, die sie im familiären Umfeld nicht erfahren, an anderer Stelle zu kompensieren versuchen – etwa durch Alkohol, Drogen, Glücksspielsucht oder durch den Anschluss an extremistische und terroristische Gruppierungen.
Das bedeutet: Elterliche Gewalt gegenüber dem Kind kann ein innerlich verletztes Wesen hervorbringen, das sich im weiteren Verlauf zu einer ernsthaften Bedrohung für die gesamte Gesellschaft entwickelt.
In den meisten Fällen wird häusliche Gewalt in grösserem Ausmass vor allem vom Ehemann gegenüber der Ehefrau sowie von den Eltern gegenüber ihren Kindern ausgeübt – auch wenn in jüngerer Zeit und in bestimmten Einzelfällen zunehmend auch umgekehrte Formen von Gewalt beobachtet werden können. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn der Ehemann der Ehefrau gegenüber körperlich unterlegen wird oder wenn Eltern im Alter gebrechlich werden und in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Kindern geraten.
Formen häuslicher Gewalt
Nach der Istanbuler Konvention (2011) umfasst häusliche Gewalt “alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte“. Häusliche Gewalt aber auch Gewalt gegen Frauen kann folgende Formen haben:
- Körperliche Gewalt: richtet sich gegen die körperliche Unversehrtheit eines anderen Menschen. Dazu zählen Stoßen, Boxen, Würgen, Ohrfeigen, Treten, mit Gegenständen werfen, das Überschütten mit Flüssigkeiten, an den Haaren ziehen, festes Zupacken, Schlagen, mit Zigaretten verbrennen, mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, Angriffe mit einem Gegenstand (Messer, Gürtel etc.) bis hin zu Mordversuch oder Mord.
- Psychische Gewalt: beinhaltet ein breites Spektrum von Handlungsweisen, die alle dem Ziel dienen, das Selbstwertgefühl der Betroffenen zu beeinträchtigen. Dazu gehören Beleidigung und Demütigung, Verleumdung, Herabminderung, Missachtung, Schweigen, Abwertung, Eifersucht, Herunterspielen ausgeübter körperlicher Gewalt, Schreien, Kontrolle von sozialen Kontakten zu Freunden, Familie und Arbeitskollegen, soziale Isolation oder das Zerstören wertvoller persönlicher Dinge.
- Sexualisierte Gewalt: bezeichnet alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen der Betroffenen geschehen. Dazu zählen sexuelle Belästigung, Nötigung zu sexuellen Handlungen, (versuchte) Vergewaltigung, sexueller Missbrauch sowie alle Formen sexueller Bedrohung. Sexualisierte Gewalt stellt einen massiven Gewaltakt sowohl gegen die physische als auch die seelische Integrität der Betroffenen dar.
- Ökonomische Gewalt: dient der finanziellen Abhängigkeit der Betroffenen von ihren (Ex-)Partner:innen. Der Zugang zu Geld wird verweigert, z. B. durch das Verbot, berufstätig zu sein, bzw. Geld wird zugeteilt oder auch als Mittel zur Belohnung und Bestrafung eingesetzt.
- Soziale Gewalt: grenzt Betroffene von der jeweiligen Umwelt ab, in dem der Kontakt zu Verwandten, Freunden und Bekannten sowie Freizeitaktivitäten unterbunden oder verboten werden.
- Belästigung und Nachstellung (Stalking): sind häufige und unerwünschte Anrufe, SMS, Briefe, Emails, Nachrichten über soziale Medien, Bestellungen auf den Namen der Betroffenen, Erstellen von Fake-Account auf den Namen der Betroffenen bei sozialen Medien, ständiges Beobachten und Verfolgen, anhaltende Beschimpfung und Bedrohung, Hinterlassen unerwünschter Nachrichten oder die Kontaktaufnahme über Dritte. Diese Form der Gewalt wird häufig von Ex-Partner:innen ausgeübt, welche die Trennung nicht akzeptieren wollen.
- Zwangsheirat und Zwangsehe können auch als häusliche Gewalt verstanden werden. Bei einer Zwangsheirat werden erwachsene oder minderjährige Personen durch das familiäre und soziale Umfeld gezwungen, eine Ehe einzugehen. Die Eheschliessung kann dabei gegen den Willen einer oder beider Personen erzwungen werden. Der familiäre und soziale Druck kann auch ausgeübt werden, wenn es darum geht die Ehe aufrecht zu erhalten. Hier wird von einer Zwangsehe gesprochen.
Die verschiedenen Gewaltformen gehen ineinander über und werden selten isoliert voneinander ausgeübt.
Gründe für die Ausübung von Gewalt
Die Gründe für die Ausübung häuslicher Gewalt sind vielfältiger Natur: Sie können biologischer, psychologischer und sozialer Art sein – bis hin zu bestimmten religiösen Deutungen, die mitunter ebenfalls als Rechtfertigung herangezogen werden.
Zu den biologischen und psychologischen Ursachen von Gewalt werden in der Regel psychische Erkrankungen gezählt, wie etwa der Einfluss männlicher Hormone, Schizophrenie, paranoide Schizophrenie sowie antisoziale Persönlichkeitsstörungen.
Zu den weiteren psychologischen Ursachen von Gewalt zählen typischerweise der Mangel an Kommunikation, an Dialog, an Gesprächsbereitschaft und an gegenseitigem Verständnis. In jenem Moment, in dem das Gefühl von Sicherheit und gegenseitigem Respekt verletzt oder zerstört wird, dringt Gewalt auf heimtückische Weise in das familiäre Gefüge ein.Der Ehemann gegenüber der Ehefrau und die Eltern gegenüber ihren Kindern greifen häufig zur Gewalt, um das eigene Wort durchzusetzen, um Druck auszuüben, um eigene Schwächen zu kaschieren oder um ihre Macht innerhalb der Familie zu legitimieren. Der schwächste Punkt eines Mannes oder eines Elternteils zeigt sich genau dann, wenn er oder sie Gewalt gegen andere Familienmitglieder ausübt. Mit anderen Worten: Gewalt gegen Schwächere wird in der Regel von jenen verübt, deren Persönlichkeit und Charakter selbst schwach und unausgereift sind.
Zu den sozialen Ursachen von Gewalt zählt unter anderem ihre Erlernbarkeit. Gewalt ist ein Verhalten, das in erster Linie innerhalb der Familie erlernt wird. Wissenschaftliche Studien haben nachgewiesen, dass Kinder und Jugendliche, die in einem familiären Umfeld aufwachsen, in dem Gewalt – auch gegen sie selbst – systematisch ausgeübt wird, später eine deutlich höhere Neigung zeigen, selbst Gewalt gegen andere auszuüben.
Eine weitere soziale Ursache liegt darin, dass Gewalt in bestimmten Gesellschaften und sozialen Milieus als legitimes Mittel der Disziplinierung verstanden und sogar als positive Eigenschaft – als eine Form von „Wert“ – betrachtet wird, die nicht nur gerechtfertigt, sondern auch als weiterzugeben an nachfolgende Generationen gilt. Hinzu kommt das verbreitete Fehlen sozialer und kommunikativer Kompetenzen: die Unfähigkeit, in einer sachlichen, begründeten und respektvollen Weise zu kommunizieren; die Gewohnheit, eigene Meinungen und Gefühle in provokativer Form auszudrücken; oder das Neigen zu ungerechtfertigten Vorurteilen und Schuldzuweisungen gegenüber anderen.
Auch sozioökonomischer Druck spielt eine wesentliche Rolle: Armut, das Gefühl von Überforderung oder Ohnmacht in Bezug auf verschiedene Lebenssituationen, chronischer Frust sowie die Nichterfüllung grundlegender menschlicher Erwartungen können als weitere Ursachen gelten.
Schliesslich sind auch Abhängigkeiten – etwa von Alkohol, Drogen, Glücksspielen oder anderen destruktiven Gewohnheiten – als gravierende Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten zu nennen.
Zu den religiösen Ursachen für die Ausübung von Gewalt lässt sich insbesondere die fehlerhafte Interpretation von religiösen Texten sowie die falsch verstandene Sichtweise bestimmter ethisch-moralischer Prinzipien nennen. Zu den am häufigsten missverstandenen und missbrauchten religiösen Texten, unter uns Muslimen, zählen Qur’anverse sowie Hadithe des Propheten Muhammad (s.a.w.s.), die angeblich die Anwendung von Gewalt innerhalb der Familie nicht nur zuliessen, sondern gar befürworteten. Ein besonders kontrovers diskutierter Vers ist Vers 34 aus der Sure 4, an-Nisā’, der aus einer patriarchalisch geprägten Perspektive als religiöse Legitimation für die Züchtigung der „widerspenstigen“ Ehefrau interpretiert wird – und zwar als disziplinarische Massnahme in den Diensten des familiären Zusammenhalts. Der Vers lautet wie folgt:
اَلرِّجَالُ قَوَّامُونَ عَلَى النِّسَاءِ بِمَا فَضَّلَ اللَّـهُ بَعْضَهُمْ عَلَىٰ بَعْضٍ وَبِمَا أَنفَقُوا مِنْ أَمْوَالِهِمْ فَالصَّالِحَاتُ قَانِتَاتٌ حَافِظَاتٌ لِلْغَيْبِ بِمَا حَفِظَ اللَّـهُ وَاللَّاتِي تَخَافُونَ نُشُوزَهُنَّ فَعِظُوهُنَّ وَاهْجُرُوهُنَّ فِي الْمَضَاجِعِ وَاضْرِبُوهُنَّ فَإِنْ أَطَعْنَكُمْ فَلَا تَبْغُوا عَلَيْهِنَّ سَبِيلًا إِنَّ اللَّـهَ كَانَ عَلِيًّا كَبِيرًا.
“Die Männer stehen in Verantwortung für die Frauen wegen dessen, womit Allah die einen von ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Besitz (für sie) ausgeben. Darum sind die rechtschaffenen Frauen (Allah) demütig ergeben und hüten das zu Verbergende, weil Allah (es) hütet. Und diejenigen, deren Widersetzlichkeit ihr befürchtet, - ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch aber gehorchen, dann sucht kein Mittel gegen sie. Allah ist Erhaben und Gross.”
Da Allah, der Erhabene, wie im Vers 21 der Sure 30 (ar-Rūm) deutlich macht, das Ziel verfolgt, in der Ehe Ruhe, Geborgenheit, Liebe und Barmherzigkeit zu kultivieren – und da der Gesandte Muhammad (s.a.w.s.) selbst niemals Gewalt oder körperliche Züchtigung gegenüber irgendjemandem angewandt hat, weder gegenüber seinen Kindern noch gegenüber seinen Ehefrauen – und da er im Gegenteil Männer, die Gewalt gegen Frauen ausübten, ermahnt und getadelt hat, sowie selbst in Konflikten mit seinen Ehefrauen niemals zur Gewalt griff – ist es nicht nachvollziehbar, dass die Qur’anformulierung „…und schlagt sie…“ (arab. wa-ḍribūhunna, Sure 4:34) im Sinne einer Erlaubnis oder gar Aufforderung zur Gewaltanwendung interpretiert wird.
Denkanstösse hierzu liefern zeitgenössische Qur’an-Exegeten wie Muḥammad ʿAbdallāh Draz, Ṭāhir ibn ʿĀshūr, Süleyman Ateş, Hayrettin Karaman und Mustafa İslamoğlu, die sich für eine kontextuelle und historisch reflektierte Auslegung des edlen Qur’ans einsetzen. Ihrer Auffassung nach muss die im Vers enthaltene Aussage zur Züchtigung widerspenstiger Frauen als zeitgebundene Ausnahme verstanden werden – eingebettet in einen patriarchal geprägten gesellschaftlichen Kontext zur Zeit der Offenbarung, in dem die körperliche Bestrafung von Frauen eine weitverbreitete, oft masslose Praxis darstellte.
Der Qur’an setzte dieser Willkür erstmals klare Grenzen: Gewalt durfte nicht beliebig ausgeübt werden, sondern war an strenge Bedingungen gebunden – sie sollte gestuft erfolgen, nur als letztes Mittel in Ausnahmesituationen angewendet werden und war in ihrer Schwere stark eingeschränkt. Damit war der Vers weniger eine Erlaubnis zur Gewalt als vielmehr ein Appell an ihre disziplinierte Einschränkung mit dem langfristigen Ziel ihrer vollständigen Überwindung innerhalb einer sich ethisch verfeinernden islamischen Gesellschaft.
Besonders aufschlussreich ist hierbei die Aussage des Propheten Muhammad (s.a.w.s.) in seiner Abschiedspredigt, wo er die vermeintlich zulässige „Züchtigung“ mit dem Ausdruck „ghayr mubarraḥ“ beschreibt – was so viel bedeutet wie eine „nicht verletzende, nicht schmerzhafte“ Handlung. Dies lässt sich vielmehr als symbolischer Ausdruck des Missfallens deuten, keinesfalls jedoch als tatsächliche Anwendung von Gewalt im physischen Sinne.
Der Gelehrte Ṭāhir ibn ʿĀshūr weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Formen der Missfallensäusserung in der Ehe von Zeit, Kultur und gesellschaftlichen Normen abhängig sind. Die Praxis der jeweiligen Zeit, Region und Zivilisation, in der Musliminnen und Muslime leben, muss daher in der Auslegung dieses Verses berücksichtigt werden.
Dies entspricht dem ethischen Geist des Qur’ans – einem Geist, der auf Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und zwischenmenschlicher Würde basiert.
Heute könnte man diese qur’anische Wendung – anstelle von „schlagt sie!“ – sinngemäss durchaus mit einer Formulierung wie: „sprecht eine schriftlich dokumentierte Ermahnung aus“ wiedergeben. Dass eine solche Auslegung im Geiste des Qur’ans liegt, belegen unter anderem die folgenden Argumente.
Im Hinblick auf das Verhalten der Ehemänner gegenüber ihren Ehefrauen formuliert Allah, der Allmächtige, ein universales Prinzip – ein ethisches Grundgebot, das unabhängig von Zeit, Ort oder Kultur Gültigkeit besitzt:
وَعَاشِرُوهُنَّ بِالْمَعْرُوفِ
“…Und geht in rechtlicher Weise mit ihnen um..!” (an-Nisa’, 4:19)
Aus der Praxis des Propheten Muhammad (s.a.w.s.)
Auf der anderen Seite ist es eindeutig belegt, dass der Gesandte Muhammad (s.a.w.s.) jene Männer seiner Zeit, die ihre Ehefrauen schlugen, mit deutlichen Worten tadelte. Er sagte zu ihnen:
أَيَضْرِبُ أَحَدُكُمُ امْرَأَتَهُ كَمَا يَضْرِبُ الْعَبْدَ ثُمَّ يُجَامِعُهَا فِي آخِرِ الْيَوْمِ؟!
„Wie kann es sein, dass einer von euch seine Frau (am Tage) schlägt, als wäre sie eine Sklavin – und dann am Abend sie umarmt und mit ihr das Ehebett teilt?!“ (al-Buḫārī, Muslim, Abū Dāwūd und Ibn Māǧa)
Diese Aussage des Gesandten Muhammads (s.a.w.s.) stellt nicht nur einen klaren moralischen Tadel gegenüber häuslicher Gewalt dar, sondern offenbart auch den tiefen Widerspruch zwischen Gewaltausübung und der Intimität, Nähe und Würde, die die eheliche Beziehung auszeichnen sollte.
لَا تَضْرِبُوا إِمَاءَ اللَّهِ... لَقَدْ طَافَ بِآلِ مُحَمَّدٍ نِسَاءٌ كَثِيرٌ يَشْكُونَ أَزْوَاجَهُنَّ لَيْسَ أُولَئِكَ بِخِيَارِكُمْ.
„Schlagt nicht die Dienerinnen Allāhs (eure Frauen)! … Viele Frauen sind zur Familie (meines Hauses) gekommen und haben sich über ihre Ehemänner beklagt (dass diese sie schlagen). Wisst, jene Männer gehören nicht zu den Besten unter euch.“ (Abū Dāwūd)
Diese Aussage des Gesandten Muhammads (s.a.w.s.) verdeutlicht unmissverständlich seine ablehnende Haltung gegenüber jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen. Indem er die Frauen als “Dienerinnen Gottes” bezeichnet, verleiht er ihnen eine Würde und Schutzstellung, die eine gewaltsame Behandlung nicht nur als unmoralisch, sondern als Missachtung göttlicher Verantwortung erscheinen lässt. Darüber hinaus macht er deutlich, dass gewalttätiges Verhalten kein Zeichen von Tugend oder Männlichkeit ist, sondern im Gegenteil ein Ausdruck ethischer Schwäche und charakterlicher Unvollkommenheit.
Als eine Frau namens Fāṭima bint Qays den Gesandten Muhammad (s.a.w.s.) aufsuchte, um seinen Rat in Bezug auf eine Eheschliessung einzuholen – da ihr gleichzeitig drei verschiedene Männer einen Heiratsantrag gemacht hatten: Muʿāwiya, Abū Ǧahm und Usāma – antwortete der Gesandte (s.a.w.s.): „Muʿāwiya ist sehr arm, und Abū Ǧahm ist ein Mann, der dafür bekannt ist, seine Frauen häufig zu schlagen (darrābu’n-nisā’). Ich empfehle dir, Usāma zu heiraten.“ (Muslim)
Diese Überlieferung unterstreicht die klare Position Muhammads (s.a.w.s.) gegen Männer, die gewalttätig gegenüber Frauen sind. Er warnt ausdrücklich vor einem Heiratsanwärter, dessen gewalttätiges Verhalten bekannt ist, und bevorzugt stattdessen einen Charakter, der durch Mässigung und Würde gekennzeichnet ist. Die Empfehlung zeigt, dass physische Gewalt ein legitimer und ausschlaggebender Grund ist, eine Eheverbindung nicht einzugehen – und sie reflektiert zugleich den ethisch-prophetischen Massstab für den familiären Umgang.
In dieser Aussage scheint der Gesandte Muḥammad s.a.v.s. Abū Ǧahm und Menschen seinesgleichen offen zu tadeln – ja, regelrecht zu denunzieren – als untragbare Persönlichkeiten, nicht nur im Hinblick auf die Ehe, sondern ganz grundsätzlich als problematische Charaktere.
Durch seine Warnung vor einem Mann, der bekannt dafür ist, Frauen zu schlagen, macht der Prophet Muhammad (s.a.w.s.) deutlich, dass solches Verhalten mit dem ethischen Ideal des Islam unvereinbar ist. Gewaltbereite Männer gelten in seinem Verständnis nicht nur als ungeeignet für eine Ehe, sondern als moralisch fragwürdige Individuen, deren Verhalten die zwischenmenschliche Integrität untergräbt.
Somit zeigt sich auch in dieser Aussage die prophetische Haltung: Ehe und Familie sollen auf gegenseitigem Respekt, Fürsorge und Barmherzigkeit beruhen – und nicht auf Dominanz, Angst und Gewalt.
ʿĀ’iša r.a., die Ehefrau des Gesandten Muhammad (s.a.w.s.), überliefert Folgendes:
مَا ضَرَبَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ شَيْئًا قَطُّ بِيَدِهِ وَلاَ امْرَأَةً وَلاَ خَادِمًا.
„Der Gesandte Allahs hat niemals jemanden mit seiner Hand geschlagen – weder eine Frau noch einen Diener (noch ein Kind).“ (Muslim)
Diese Überlieferung, weitergegeben von ʿĀ’iša (r.a.), ist ein eindrucksvoller Beleg für das durchgehend gewaltfreie Verhalten des Propheten (s.a.w.s.) in seinem privaten und familiären Umfeld. Sie unterstreicht seine beispielhafte Milde, seine ethische Grösse und seine konsequente Ablehnung jeglicher körperlichen Züchtigung – ganz im Gegensatz zu gesellschaftlichen Gepflogenheiten seiner Zeit. Sein Vorbild legt den Massstab für zwischenmenschliche Beziehungen im Islam: geprägt von Barmherzigkeit, Sanftmut und Würde – nicht von Macht, Gewalt oder Einschüchterung.
Abū Dharr (r.a.) überliefert vom Gesandten Muhammad (s.a.w.s.) folgendes hadīth qudsī (göttliches Wort, überliefert durch profetische Aussage):
يَا عِبَادِي إِنِّي حَرَّمْتُ الظُّلْمَ عَلَى نَفْسِي وَجَعَلْتُهُ بَيْنَكُمْ مُحَرَّمًا فَلَا تَظَالَمُوا.
„(Allah, der Erhabene, spricht:) ‚O Meine Diener! Ich habe Mir Selbst das Unrecht (dhulm) verboten, und auch euch habe Ich es verboten – so begeht kein Unrecht gegeneinander!‘“ (Muslim)
Dieser hadīth qudsī, überliefert von Abū Dharr (r.a.), stellt ein fundamentales ethisches Prinzip des Islams dar: Die absolute Unzulässigkeit von Ungerechtigkeit – sei es durch Gewalt, Unterdrückung oder Herabwürdigung. Indem Allah (s.t.) Selbst sich das Unrecht untersagt, wird den Gläubigen ein unmissverständliches moralisches Gebot auferlegt: Jegliche Form von dhulm – auch im familiären Rahmen – ist nicht nur unislamisch, sondern widerspricht dem Wesen göttlicher Gerechtigkeit. Gewalt in der Familie fällt somit klar unter das Verbot der Ungerechtigkeit und ist als ein schwerwiegender Verstoss gegen die göttliche Ordnung zu verstehen.
Der Prophet Muhammad (s.a.w.s.) hat ebenfalls gesagt:
اِتَّقُوا اللَّهَ فِي الضَّعِيفَيْنِ: النِّسَاءِ وَالْيَتِيمِ.
„Fürchtet Allah in Bezug auf das Recht der beiden Schwachen: der Frauen und der Waisen.“ (ʿAbd ar-Razzāq aṣ-Ṣanʿānī)
Ebenso hat Muhammad (s.a.w.s.) selbst in seinem Bittgebet an Allah, den Allmächtigen, gesprochen: „O Allāh, ich fürchte (und bitte um Schutz vor) der Verletzung des Rechts der beiden Schwachen: des Waisenkindes und der Frau!“ (an-Nasā’ī und Ibn Māǧa)
Diese Aussagen spiegeln eindrucksvoll die Fürsorge und Sensibilität des Propheten Muhammad (s.a.w.s.) für die sozial Schwächsten wider. Er ruft nicht nur zur Achtung ihrer Rechte auf, sondern richtet diese Verantwortung in Form eines gottesfürchtigen Appells an die Gläubigen. Die Schutzbedürftigkeit von Frauen und Waisen wird hier nicht als gesellschaftliche Schwäche, sondern als moralische Verpflichtung für die Gemeinschaft begriffen – eine Verpflichtung, für die sich jede Ungerechtigkeit vor Allah (s.t.) verantworten muss.
Fazit
Die hier versammelten Quellen aus dem Qur’an, der prophetischen Sunna und der islamischen Gelehrsamkeit belegen eindeutig: Häusliche Gewalt steht im klaren Widerspruch zum Geist und zu den ethischen Grundwerten des Islams. Die Familie soll nach dem qur’anischen Ideal ein Ort des Friedens, der Barmherzigkeit, der Liebe und des gegenseitigen Respekts sein. Gewalt zerstört dieses Fundament – sie verletzt nicht nur Individuen, sondern erschüttert die gesamte Gesellschaft.
Der Versuch, Gewalt – insbesondere gegen Frauen – mit religiösen Texten zu rechtfertigen, stellt eine grobe Fehlinterpretation dar. Wie gezeigt wurde, widerspricht eine solche Lesart sowohl dem Gesamtbild der qur’anischen Botschaft als auch dem gelebten Vorbild des Gesandten Muhammad (s.a.w.s.), der nie Gewalt angewendet hat und gewalttätiges Verhalten stets verurteilt hat. Seine Aussagen und Handlungen zeigen mit Nachdruck, dass ethisches Verhalten, Fürsorge für Schwache und der Schutz der Menschenwürde zentrale Säulen des islamischen Familienverständnisses sind.
Daher ist jede Form von familiärer Gewalt – sei sie körperlicher, psychischer oder struktureller Natur – nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch religiös unzulässig. Die islamische Lehre ruft zu Gerechtigkeit, Sanftmut und Verantwortungsbewusstsein auf – besonders dort, wo Machtungleichgewichte existieren, wie etwa zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Ehemann und Ehefrau.
Es liegt an den muslimischen Gemeinschaften, diesen ethischen Anspruch aktiv zu leben, gegen jede Form von Gewalt im familiären Raum aufzutreten und eine Kultur des Schutzes, der Empathie und des respektvollen Miteinanders zu fördern – ganz im Sinne der Barmherzigkeit, mit der Allah (s.t.) die Menschheit geschaffen hat.

